Nachdem Corona im Jahr 2021 das alles-beherrschende Thema war, sieht die Welt 2022 schon wieder ganz anders aus – und steht dennoch Kopf. Für den gesamten E-Commerce war das Jahr eine große Herausforderung: Die Ukrainekrise und ihre Auswirkungen, wie gestiegene Lebenshaltungskosten und die historisch hohe Inflation von 7,9 Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023), verunsichern die Bürger*innen. In vielen Bereichen führen die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu einer merklichen Kaufzurückhaltung. Gleichzeitig stellen Lieferengpässe und die Energiekrise die Pharmaindustrie vor große Herausforderungen. Und dennoch zeigt unsere Analyse, dass der Handel mit Arzneimitteln auch 2022 weiter auf Wachstumskurs ist.
OTC-Gesamtmarkt verzeichnet Umsatzplus
Der gesamte OTC-Markt, also Versandhandel plus Offizin, wächst im Vergleich zum Vorjahr um 8,4 Prozent auf einen Gesamtumsatz von rund 13 Mrd. Euro. Das Wachstum nach Umsatz im Versandhandel beläuft sich auf +8,1 Prozent und verteidigt seinen Anteil am OTC-Gesamtmarkt. Dieser bewegt sich mit 22,6 Prozent auf Vorjahresniveau.
Der Wachstumstrend der letzten Jahre setzt sich im Versandhandel also auch im Jahr 2022 fort und ist abgesehen von den Volatilitäten, die sich auf die Corona- und Ukrainekrise zurückführen lassen, insgesamt unauffällig.
Versandhandels-Wachstum getrieben von Erkältungs-
saison
Fast alle Indikationsgebiete im OTC-Arzneimittelmarkt liegen 2022 im wachsenden Bereich. Die Analyse der Märkte (nach Klassifikation der INSIGHT Health GmbH) zeichnet allerdings ein völlig anderes Bild als im Vorjahr.
Während wir im Recap 2021 berichteten, dass die ATC-Klasse Respirationssystem als einziger Markt einen Umsatzverlust hinnehmen musste, sind 2022 vor allem Erkältungspräparate und Präparate rund um das Respirationssystem die Wachstumstreiber im Versandhandel. Hauptursache für diese Umkehrung wird sein, dass seit 2021 die Corona-Maßnahmen schrittweise zurückgefahren wurden und sich die Menschen wieder vermehrt angesteckt haben.
In den ATC3-Kategorien erzielen Expectorantien ohne Antiinfektiva mit einem Plus von +65,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr die mit Abstand stärkste Umsatzentwicklung. Auch die Klasse Rhinologika legt deutlich zu.
Hustenstillende Präparate verzeichnen das stärkste Wachstum auf ATC4-Level. Rezeptfreie Schmerzmittel erzielen den höchsten Umsatz.
Top of the Pops
Wenig dynamisch hingegen ist das Ranking der erfolgreichsten Unternehmen im Versandhandel: Die Bayer Vital GmbH führt wie im Vorjahr das Ranking der zehn umsatzstärksten Hersteller an. Das signifikanteste Wachstum mit +25 Prozent verzeichnet die STADA Consumer Health Deutschland GmbH. Und nach wie vor vereinen die zehn Top-Hersteller ein Drittel der gesamten Versandhandelsumsätze 2022 auf sich.
Bei der Analyse der Top-Marken und Top-Newcomer des Jahres, die OTC-Heroes, belegt Voltaren von GSK/Haleon den ersten Platz unter den umsatzstärksten Herstellermarken. Platz 2 und 3 des Rankings belegen die Marken Orthomol der Orthomol pharmazeutische Vertriebs GmbH und Eucerin der Beiersdorf AG.
Spannend: Im Ranking der wachstumsstärksten Herstellermarken 2022 landet die Marke Nupure der AixSwiss B.V. mit einem außerordentlichen Wachstum von +259 Prozent auf dem Siegertreppchen. Die breite Produktpalette an Nahrungsergänzungsmitteln und Probiotika trifft offenbar einen Nerv bei den Versandhandels-Shopper*innen.
Junge Käufer*innen entdecken den digitalen Kanal
Apropos Shopper*innen: Die Grundstruktur der Kundschaft im digitalen Kanal hat sich wenig verändert. Die Kern-Käuferschaft in den Online-Apotheken ist mit einem Anteil von mehr als 65 Prozent weiterhin weiblich.
Auch umsatzseitig sind Frauen mit einem Anteil von zwei Drittel noch immer die Treiberinnen – wieder mit steigender Tendenz. Der Umsatz bei weiblichen Shopper*innen wächst 2022 um satte 8,8 Prozent, was sich auch in steigenden Umsatzanteilen widerspiegelt. Aber auch der Umsatz männlicher Käufer wächst im einstelligen Prozentbereich, obwohl ihr Anteil am Gesamtvolumen leicht zurückgeht.
Eine deutliche Veränderung kann man innerhalb der jüngeren Segmente konstatieren: Immer mehr jüngere Verbraucher*innen nutzen Online-Apotheken als Quelle zur Arzneimittelversorgung. Die höchsten Wachstumsraten nach Umsatz, sowohl bei Frauen als auch bei Männern, verzeichnen die kaufkraftstarken, jungen Personas.
Steigende Inflation: So entwickeln sich die Arzneimittel-preise
Über eine gewisse Kaufkraft zu verfügen ist 2022 ein klarer Vorteil, wenn man die Preisentwicklung im Pharma-Versandhandel in den Fokus rückt. Diese haben wir für den Recap 2022 in enger Kooperation mit den Spezialisten von Simon Kucher analysiert. Deutlich zeigt sich, dass die Erhöhungen der tatsächlichen Online-Preise (rAVP) in 2022 deutlich über den Steigerungen der Apothekenverkaufspreise (AVP) der Hersteller liegen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Versender im Jahr 2022 Preiserhöhungen der Hersteller an die Verbraucher*innen weitergegeben haben. Im Vorjahr 2021 waren sie da weitaus zurückhaltender. Darüber hinaus sinkt 2022 der durchschnittliche Rabatt der Versandhändler um 4,1 Prozentpunkte.
Außerdem ergab die Analyse, dass die Preissteigerungen sich je nach Produktgruppe deutlich unterscheiden. Hier sehen wir auch einen Zusammenhang mit der Tatsache, dass die Klasse der Präparate zur Behandlung des Respirationssystems zum Umsatztreiber im Versandhandel avanciert. Mit einer Gesamtpreiserhöhung von 10,8 Prozent seit Januar 2021 sticht diese Klasse im Vergleich zu anderen Produktgruppen deutlich hervor.
Zusammenfassung
Das Jahr 2022 war für den OTC-Versandhandel eine Herausforderung, da politische und gesellschaftliche Entwicklungen sowie Lieferengpässe und die Energiekrise die Pharmaindustrie vor große Herausforderungen stellten. Der Wachstumskurs der Branche ist dennoch ungebrochen und kann das Referenzjahr 2021 einmal mehr toppen.
Der gesamte OTC-Markt wächst im Vergleich zum Vorjahr um 8,4 Prozent. Der Versandhandel verteidigt seinen Anteil am OTC-Gesamtmarkt, der sich mit 22,6 Prozent auf Vorjahresniveau bewegt.
Fast alle Indikationsgebiete im OTC-Arzneimittelmarkt erzielen ein Umsatzplus, wobei vor allem Erkältungspräparate und Präparate rund um das Respirationssystem die Wachstumstreiber im Versandhandel sind.
Der digitale Kanal wird weiterhin von Frauen dominiert, sowohl was den Anteil der Käuferinnen als auch den Umsatz der weiblichen Käuferschaft betrifft. Zudem entdecken kaufkraftstärkere Verbraucher*innen den Online-Kanal, um ihre Arzneimittel zu beziehen. Die Studie bringt zutage, dass die Preise im Pharma-Versandhandel 2022 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind und die Preiserhöhungen der Hersteller auf Verbraucher*innen umgelegt wurden. Die Preissteigerungen variieren je nach Produktgruppe, wobei die Präparate zur Behandlung des Respirationssystems im Jahr 2022 besonders stark von Preiserhöhungen betroffen sind.